Frauenmedizin

Gesund durch die Krise – aber wie?

Von Michael Gneuss und Kira Taszman · 2020

Die Lebenserwartung von Frauen liegt in Deutschland bei 82,7 Jahren, fünf Jahre höher als bei Männern. Frauen wollen gesund und lebensfroh alt werden. Doch die wachsende Doppelbelastung überfordert heute oft das weibliche Geschlecht – gerade in Corona-Zeiten. Unter dem Kampf mit dem Stress leidet die Gesundheit. Auf spezifische Bedürfnisse der Frauen muss sich auch die Medizin noch besser einstellen.

Junge Ärztin im Kittel und mit Mundschutz. Thema: Frauenmedizin
Vorsorge ist der Schlüssel zur Gesundheit. Foto: iStock / oshcherban

Frauen geben Geborgenheit, Frauen stehen ständig unter Strom, Frauen sind so verletzlich, Frauen sind auf dieser Welt einfach unersetzlich. Diese Verse sind eine leichte Abwandlung des Textes von Herbert Grönemeyers Hit „Männer“ aus den Achtzigerjahren. Doch viele Zeilen daraus lassen sich auf das sogenannte schwache Geschlecht übertragen. Ein Lied über „Frauen“ müsste jedoch ergänzt werden: Frauen sind Multitaskerinnen, sie gebären und erziehen Kinder, arbeiten, schmeißen den Haushalt – und müssen dabei auch noch blendend aussehen. Und so stellt sich die Frage, wer tatsächlich das starke und das schwache Geschlecht ist. Die Anforderungen an Frauen sind jedenfalls hoch; und sie waren immer hoch. Jahrhundertealte patriarchalische Zwänge haben dazu beigetragen. Und heute macht die Doppelbelastung aus Karriere und Familie die Lage nicht einfacher, nicht zuletzt wegen nagender Selbstkritik der Frauen. Doch spielt dabei auch die Gesundheit mit? 

Corona steigert den Stress

In Corona-Zeiten muss diese Frage noch einmal neu gestellt werden. Der durch Mehrfachbelastung verursachte Stress hat zugenommen – besonders für Frauen. Die von 102.000 Menschen aus 143 Ländern beantwortete Online-Umfrage COH-FIT (Collaborative Outcomes Study on Health and Functioning during Infection Times) bestätigt dies. Bei Frauen – ebenso wie bei Älteren – seien das Stresslevel sowie das Gefühl von Einsamkeit stärker angestiegen als bei Männern. Frauen arbeiten öfter in systemrelevanten Berufen, wuppen das Homeschooling der Kinder und leisten unbezahlte Pflegearbeit in der Familie. Zudem wurden Frauen während des Lockdowns vermehrt Opfer von physischer, sexueller oder psychischer Gewalt. UN-Frauen, ein Organ der Vereinten Nationen, berichtet, dass seit dem Ausbruch von Covid-19 insbesondere die häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen gestiegen sei – in Frankreich seit dem Lockdown im März um 30 Prozent. Auch aus Kanada, Deutschland, Spanien, Großbritannien und den USA wurden vermehrt Fälle häuslicher Gewalt und die Nachfrage nach Notunterkünften gemeldet. Die Lösungen in der Krise seien größtenteils von Männern gemacht, sagt hierzulande die Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler dem Sender RTL. Deshalb würden auch Probleme, die Frauen beruflich beträfen, gar nicht adressiert, moniert sie und spricht sich für eine Frauenquote in Führungspositionen aus. 

Stressbedingte Frauenkrankheiten

Doch auch vor Corona blieb bei dem Spagat zwischen Beruf und Familie das weibliche Wohlbefinden zuweilen auf der Strecke. So verzeichneten die Krankenkassen schon seit 15 Jahren eine Zunahme von Depressionen, Angst- und Belastungsstörungen, fand eine Stressstudie der Techniker-Krankenkasse im Jahr 2016 heraus. Auch hier sind Frauen proportional stärker betroffen. 49 Prozent von ihnen und 37 Prozent aller Männer würden einmal im Leben psychisch krank, ermittelte das Robert-Koch-Institut (RKI). Ursachen der zunehmenden psychischen Erkrankungen sehen Experten in der erhöhten Anforderung an Mobilität und Flexibilität im Beruf, hohen Scheidungsraten und brüchigen Familienstrukturen. Als die Frauenkrankheit schlechthin gilt der Brustkrebs. Welche Rolle der Stress dabei spielt, ist noch nicht hinreichend erforscht. Da er in westlichen Ländern allerdings häufiger auftritt als in Afrika oder Asien, spielen wohl auch Umwelt, Ernährung und Lebensstil eine Rolle.

Probleme mit der Menstruation

Ein nicht lebensbedrohliches, dafür allgegenwärtiges Leiden stellt hingegen das PMS, das prämenstruelle Syndrom, dar. Etliche Frauen verspüren in den Tagen vor Beginn der Monatsblutung Beschwerden wie Unterleibs- und Rückenschmerzen, Wassereinlagerungen, Spannungsgefühl in den Brüsten oder Stimmungsschwankungen. Zwar verschwinden die Symptome mit dem Einsetzen der Periode wieder. Dennoch täte Aufklärung gut, damit Frauenleiden generell und die Menstruation im Besonderen weniger schambesetzt werden. Und nicht nur das: Die Menstruation kommt Frauen im wahrsten Sinne des Wortes teuer zu stehen. Eine britische Studie errechnete, dass eine Frau im Laufe ihres Lebens etwa 20.700 Euro für ihre Periode ausgibt. Zwar wurde in Deutschland die Mehrwertsteuer für Damenhygieneartikel im Oktober 2019 von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Doch im Gegenzug erhöhte der Handel die Preise für Binden und Tampons kräftig. 

Die klassische Medizin übergeht Frauen häufig: Medikamente werden an Männern getestet, Leitlinien von Männern geschrieben. Eine Tablette etwa braucht für den Weg durch den Körper einer Frau – vom Mund durch Speiseröhre, Magen und Darm – doppelt so lange wie durch den eines Mannes, erforschte 2003 das Scandinavian Journal of Gastroenterology. Da auch Krankheitssymptome sich je nach Geschlecht unterscheiden, werden etwa Herzinfarkte bei Frauen weniger oft diagnostiziert – schlimmstenfalls mit tödlichen Folgen. Zumal physische Beschwerden bei Frauen häufig als psychosomatische Symptome abgetan werden, vor allem von männlichen Ärzten.

Bedarf an Gendermedizin

Deshalb sind geschlechterspezifische Behandlungen wichtig, denn Frauen sind kleiner als Männer und verfügen über einen größeren Körperfettanteil. Manche Wirkstoffe werden von den körpereigenen Enzymen der Frauen dadurch in ihrem Körper unterschiedlich aktiviert, verteilt und abgebaut. Die Gendermedizin, die geschlechterspezifische Behandlung anstrebt, ist in Deutschland allerdings nur an der Berliner Charité vertreten. Dabei wäre es wichtig, vor allem junge Ärzte in geschlechtsspezifischer Diagnostik, verschleppten Herzinfarkten oder unbekannten Medikamentenwirkungen zu schulen. 

Zwar hat das RKI nachgewiesen, dass sich die Gesundheit von Frauen in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert hat. Auch die Behandlung weiterer Frauenleiden wie Osteoporose, der Nebenwirkungen in der Schwangerschaft oder der Venengesundheit macht Fortschritte. Dennoch bestehen Unterschiede in der Gesundheit und der gesundheitlichen Versorgung von Frauen – je nach Region, Status, Lebensalter, Bildung, Mobilität. Hier sind die Gesellschaft sowie die Gesetzgeber gefordert, differenzierte Lösungen anzubieten, um die Gleichberechtigung von Frauen zu fördern, sie mit ihren spezifischen anatomischen und sozialen Gegebenheiten ernst zu nehmen und so ihrer Gesundheit zu dienen.

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